10. Juli -
15. August 2021
im Seeviertel Gmunden

Gmunden.Photo
10. Juli – 15. August 2021
im Seeviertel Gmunden.
Öffnungszeiten: Di.-So. 10:00-20:00
(Mo. geschlossen).
Eintritt 5€.

Schiffslände 19, 4810 Gmunden

Im Sommer 2021 startet der Verein zur Förderung zeitgenössischer Fotografie & Medienkunst mit der von ihm entwickelten Programmschiene Gmunden.photo.

Gmunden.photo sieht sich als innovatives Fotofestival, darauf angelegt, visuelle Gegensätze lustvoll kollidieren zu lassen. Zum Beispiel, die idyllische Postkartenkulisse am Traunsee mit den Fotoarbeiten und Medieninstallationen einiger der wichtigsten Vertreter*innen zeitgenössischer Fotografie. Oder die rohe, industrielle Architektur aus 28 Frachtschiff Containern mit den Prachtbauten aus der k.u.k Epoche am Ufer.

In diesen Seefracht Containern holt Gmunden.photo die Welt nach Gmunden an den Traunsee und setzt die österreichische Fotoszene in einen internationalen Kontext. 24 Fotograf*innen präsentieren aktuelle Arbeiten, kuratiert vom Schweizer Beda Achermann. Neben Arbeiten zeitgenössischer Fotografie, werden in speziellen Containern auch Kurzfilme und Installationen gezeigt. Aus diesem Zusammenspiel der unterschiedlichen Positionen ergibt sich eine ebenso präzise wie kompakte Momentaufnahme der internationalen und österreichischen Fotografie auf der Höhe der Zeit – von klassischer Schwarzweißfotografie hin zu Instagram.

Das Seeviertel am Ufer des Traunsee wird zu einem Treffpunkt für Kunst-, Kultur- und Fotografie Interessierte vom 10.Juli bis zum 15.August 2021.

Gmunden.photo, das sind 5 Wochen, die ganz im Zeichen neuer Seh- und Seegewohnheiten im Salzkammergut stehen.

Tom Wallmann
Felix Leutner

Curated by Beda Achermann

Thomas Albdorf

Beni Bischof

Luciano Castelli

Roe Ethridge

Jojo Gronostay

François Halard

Xenia Hausner

Simon Lehner

Feng Li

Stefanie Moshammer

Hannah Neckel

Walter Pfeiffer

Jack Pierson

Viviane Sassen

Elfie Semotan

David Benjamin Sherry

Heji Shin

Jean-Vincent Simonet

Beat Streuli

Marina Sula

Camille Vivier

Lukas Wassmann

Jork Weismann

DJ Wolfram

Thomas Albdorf

Thomas Albdorf (*1982, lebt und arbeitet in Wien) ist an der Schnittstelle von Fotografie und Skulptur aktiv und interessiert sich für analoge und postfotografische Bildproduktionsprozesse, ihren immer loseren Realitäts-bezug und ihre Fehlerhaftigkeit: »Der Einfluss digitaler Techniken auf die Bildwelten treibt mich schon lange um. Was bedeutet es, wenn sich Bilder mittels Bildbearbeitung oder 3D-Rendering immer weiter von der Wirklichkeit entfernen? Wie steht es um die Beziehung zwischen Abbild-ung und Abgebildetem, wenn die Bilder nicht mehr an etwas Physisches gebunden sein müssen, also etwas, das irgendwann mal ›vor der Linse‹ war. Werden wir noch ›sehen‹ und ›entdecken‹ können, wenn der Realitäts- bezug von Bildern allmählich verloren geht? Wenn Bilder zum Großteil von ›intelligenten Maschinen‹ imaginiert werden – auf Basis bereits existierender Bilder, kameralos und ohne den Einfluss von Menschen?« Ein solches Szenario spielt Albdorf in seiner hier gezeigten Arbeit »A Miss Is As Good As a Mile« (2018) anhand des Wunschbildes der Mittelmeerreise durch: »Die Serie basiert lose auf dem Narrativ der Mittel-meerreise. Ich hab schon Ferien am Mittelmeer gemacht, aber für dieses Projekt bin ich nirgendwo hingereist. Stattdessen fragte ich mich: Wenn ich auf Urlaub fahren würde, was wären die elementarsten Bilder, die ich aufnehmen würde? Ich machte das Bild und wenn es mehr oder weniger fertig war, fütterte ich Teile davon in die Software. Die Software ana- lysierte sie und schaffte auf Basis dieser Daten ihr eigenes Bild. Ich bin nicht interessiert, eine perfekte Illusion zu schaffen, sondern vielmehr an etwas, das auf den ersten Blick als Illusion erkennbar ist – dann siehst du die Unstimmigkeiten, du siehst, dass alles digital zusammengeflickt ist. Aus der Distanz funktioniert es, aber dann schaust du genauer hin, und alles fällt auseinander.«

Beni Bischof

Beni Bischof (*1976, lebt und arbeitet in St. Gallen) begann 2005 in schneller Folge fotokopierte Fanzines zu veröffentlichen, um seine Zeichnungen, Fotografien, Collagen und Texte in Umlauf zu bringen. Die Schnelligkeit des Mediums entsprach seinem unermüdlichen Schaffens-drang: Bald schon kamen Skulpturen, Installationen und Malereien dazu. Bischof geht von der Beobachtung ganz banaler Alltagswirklichkeit aus: Krüge aus Altwarenläden, billige Photoshop-Effekte, aufgeschnappte Phrasen, Mode-fotografien aus Hochglanzmagazinen, Wort- und Bildzitate aus Internet und Werbung werden alle gleichermaßen eingearbeitet in seine Werke, die der Welt einen schnoddrig-witzigen, absurden Spiegel vorhalten. Foto-grafisches Material aus unterschiedlichstem Kontext wird dabei collagiert oder mit Photoshop anarchisch in Unsinn verdreht. Die Unverkrampft- heit und Leichtfüßigkeit von Bischofs Arbeiten führten zum Erfolg in einer Kunstwelt, der all dies oft mangelt. Das Wuchern ist das Urprinzip von Bischofs Kunst, alles ist mit allem kombinierbar und ständig kommt Neues dazu. Dies kommt wunderbar zum Ausdruck in der Bar, die Bischof in einem Container der Gmunden.photo einrichtet. Ein Ort, an dem fast jede freie Fläche bespielt wird und dessen Skurrilität den Besucher sehr reizvoll einlädt, in das trashige, schräge, erfrischend respektlose Paralleluniversum Bischofs einzutauchen.

Luciano Castelli

Der Schweizer Luciano Castelli (*1951, lebt und arbeitet in der Nähe von Zürich) war Anfang der 1980er Jahre zunächst als Maler bekannt. 1978 zog er nach Berlin und wurde Teil einer Gruppe von Künstlern, die von Punk inspiriert figurativ, schnell und expressiv malten. Schnell wurden sie als »Neue Wilde« gehandelt und hatten auch international einen Sensationserfolg. Schon in ganz jungen Jahren in seinerHeimatstadt Luzern schuf er ein beachtliches Werk, aus dem seine fotografischen Selbstpor-traits hervorstechen. Inspiriert von Glamrock, Performancekunst und der kleinen, aber dynamischen Luzerner Gegenkulturszene inszenierte sich Castelli in immer neuen Kostümen und Make-up-Varianten als androgyne Schönheit für die Kamera, ebenso lustvoll verspielt wie unverhohlen narzisstisch. Geschlecht wurde zum bloßen Spiel, Spiegel und Wirklichkeit luden sich wechselseitig auf. Die Bilder trafen den Nerv der Zeit, eine Serie wurde 1974 in Jean-Christophe Ammanns epochaler Ausstellung »Transformer. Aspekte der Travestie« im Kunstmuseum Luzern gezeigt. Wir zeigen zwei Arbeiten von Castelli. Die übergroßen auf Glas gedruckten Bilder aus der Serie »Spiegelland« (1972), aufgenommen im Spiegelsaal des Gletschergartens Luzern, zeigen, wie Castelli in Strumpf- hosen und Federboa mit seinen endlos multiplizierten Spiegelbildern flirtet und spielt, verloren im Sog seines Narzissmus. Die »Goldene Schallplatte« (1974) besteht aus vier Selbstportraits, auf denen sich der geschminkte Castelli mit vergoldetem Oberkörper in Pose wirft. Sie verweisen auf die damals immer perfekter werdende Imagemaschine der Musikindustrie, die Stars und Superstars als multimediale Gesamtkunstwerke zu vermarkten begann und so in ihren jungen Fans den Wunsch weckte, es ihnen gleich- zutun, auch Stars zu werden und im Bild zu verschwinden. Instagram und TikTok würden diese Fantasien fünfzig Jahre später verführerisch greifbar machen. Die Bildfolge macht deutlich, wie im Starkult der Popindustrie eine der Wurzeln der Gegenwart liegt.

Roe Etheridge

Auf den ersten Blick wirken Roe Ethridges (*1969, lebt und arbeitet in New York) Bilder ruhig, kühl und beschreibend, doch auf den zweiten Blick sind sie voller Fallstricke. Der neutrale Aufnahmestil ist beeinflusst von seiner Arbeit als Werbefotograf. Bilder aus kommerziellen Aufträgen tauchen in seiner künstlerischen Arbeit wiederholt auf und entwickeln dort neue Bedeutungen. In einer Medienwelt verschwimmen die Grenzen zwischen Massen- und Hochkultur, der Kontext bestimmt die Bedeutung. »Als ich 1997 nach New York zog, begann ich zu assistieren und hatte gleich Jobs bei der ›New York Times‹ und bei ›Allure‹. Ich fragte mich: ›Was geschieht hier eigentlich?‹ Ich hatte das Gefühl, etwas fast Illegales zu machen, sowohl aus einer kommerziellen als auch einer künstlerischen Perspektive. Als ob ich herumalbern würde. Zugleich dachte ich: ›Das ist das, was die Fotografie ausmacht – sie ist etwas anderes als Malerei oder Skulptur und auch etwas anderes als Film oder Fernsehen.‹ Ein Bild kann von einem Kontext in einen anderen gleiten. Wenn es keine Legende hat, nicht historisch eingeordnet ist, kann ein Bild verschiedene Funktionen erfüllen.« Ethridge zeigt eine Sequenz von Bildern aus unterschiedlichen Genres, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben, sich aber trotzdem unmerklich miteinander verhaken. Dieses Kombinieren von disparaten Bildern ist ein Kennzeichen von Ethridge: »Ich mag die Idee eines Layouts als Pendant zu einer musikalischen Partitur. Noten, Tonarten und Tonreihen als Gegenstücke zu Farbe, Bildkomposition und Motiv. Diese Überlegungen fließen ein in die Bildsequenzen. Ich weiß nicht, ob ich das als provokativ oder transgressiv empfinde, aber oft habe ich das Gefühl, wenn eine Sequenz nicht eine gewisse Übelkeit auslöst, mache ich etwas falsch. Sie muss ›richtig‹ in ihrer Falschheit sein.«

Courtesy of: Galerie Capitain Petzel

Jojo Gronostay

Jojo Gronostay (*1988, lebt und arbeitet in Wien) ist ein deutscher Künstler mit ghanaischen Wurzeln, seine Arbeit ist gleichermaßen im Feld der Kunst wie der Mode verortet. Sein Projekt »Dead White Men’s Clothing« (DWMC) ist zugleich Plattform, Kunstprojekt und Kleidermarke. »Kleidung von toten weißen Männern« ist die Bezeichnung für die aus- gemusterten, gebrauchten Kleidungsstücke aus Europa, die auf dem Kantamanto-Markt in Accra, Ghana, verkauft werden. Es drückt das Staunen der Marktbesucher aus, dass so gut erhaltene und kaum getragene Ware von ihren Vorbesitzern einfach weggegeben wurde. Der Vorbesitzer kann nur gestorben sein, so ihre Annahme. Gronostay kauft auf diesem Markt Kleidung ein, führt sie wieder nach Europa zurück und verkauft sie leicht modifiziert als Unikate im Kunstkontext, in seinem Webshop, aber auch auf der Fashion Week in Paris. Aus der ausgemusterten Kleidung wird somit gleichzeitig Kunst und Mode, die Kreislaufwirtschaft dreht eine weitere Schlaufe. Ein einfaches Konzept, das aber zahlreiche Fragen aufwirft – nach Identität, nach der Beziehung zwischen Afrika und Europa, nach Nach- haltigkeit und Recycling, nach Machtstrukturen und nach den Werte- systemen von Mode und Kunst. Unter dem Dach von DWMC realisiert Gronostay auch Kunst-projekte wie die Serie »Heels«, die hier gezeigt wird. Auf dem Boden des Kantamanto-Marktes liegen die abgebrochenen Absätze von Stilettos, die den Transport nicht intakt überlebt haben. Gronostay sammelte diese, fotografierte sie vor neutralem Hintergrund und ließ sie großformatig drucken – der Modemüll wird zu einer eleganten Fotoskulptur transformiert, die an brutalistische Architektur denken lässt. Fotografie wird hier zu einer Methode des Upcycling, die zugleich die Frage stellt, was in dieser Umwandlung geschieht, wo die Wertschöpfung stattfindet.

François Halard

François Halard (*1961, lebt in Paris) ist einer der bedeutendsten lebenden interieur- und Architekturfotografen und arbeitet für Hochglanz- magazine wie »Vogue«, und »Cabana«. Halards Können zeigt sich am eindrücklichsten in seinen Fotografien von Interieurs, die auch im Kunst- kontext hochgeschätzt werden. Sie werden zu intimen Portraits ihrer Bewohner, die Möbel und Räume zum Sprechen bringen: »Was mich von meinen Fachgenossen unterscheidet, ist, wenn ich das so sagen darf, dass ich Interieurfotografien nicht wie Dekorfotografien als Auftrag aufnehme, sondern ganz im Gegenteil diese Interieurfotos mit der fundamentalen Idee einer Fotografie, die sehr intim und persönlich sein soll, anfertige. Ich habe viele Portraits und Modeaufnahmen gemacht, aber ich finde erstaunlicherweise, dass die intimen Details in Interieurs viel aussagekräftiger sind als ein richtiges Portrait. Was mich an der Fotografie interessiert, ist, diese Intimität immer besser herauszuarbeiten.« Immer wieder hat Halard auch die Wohnungen und Ateliers von Künstlern und Fotografen wie Carlo Morandi, Luigi Ghirri, Carlo Molino oder Cy Twombly fotografiert, Bilder, die zugleich Hommage an die und Dialog mit den Künstlern sind. 2015 nahm er zwei Jahre nach dessen Tod die Wohnung des Künstlers und Fotografen Saul Leiter im New Yorker East Village auf, das er in zahlreichen farbigen und schwarzweißen Straßenaufnahmen, oft an der Grenze zur Abstraktion, festgehalten hatte. Halard fotografierte aber nicht nur die fast leeren Räume mit den wenigen übriggebliebenen Spuren Leiters, sondern auch eine Reihe von schwarzweißen Aktfotografien, die er in einer Fotopapierschachtel fand. Leiters Fotografie wird so Teil von Halards, die beiden unter- schiedlichen Zeitmomente der Aufnahmen gehen ineinander über, lassen so das Verstreichen der Zeit, das immer in der Fotografie mitschwingt, noch deutlicher hervortreten.

Xenia Hausner

Xenia Hausners (*1951, lebt und arbeitet in Wien und Berlin) Wurzeln liegen im Theater. Sie studierte in Wien und London Bühnenbild und stattete von 1977 bis 1992 zahlreiche Opern, Theaterstücke und Filme aus. 1990 wendet sie sich der Malerei zu und arbeitet seit 1992 ausschließ- lich als Malerin. In ihren Gemälden zeigt sie rätselhafte, aufgeladene Situationen, es sind Fragmente von Geschichten, die sich der Betrachter selbst erzählen muss: »Ultimativ ist alles, an dem ich arbeite, ambivalent und fragmentarisch, Lebensfragmente ohne klare Antworten. Die Bot- schaft ist uneindeutig, und das Leben ist nicht schwarz und weiß.« Die Protagonisten sind überwiegend Frauen, Männer sind bloße Rand- figuren, die herkömmlichen Hierarchien der Kunstgeschichte sind auf den Kopf gestellt, es ist eine Welt, in der weiblicher Blick und weibliche Perspektive bestimmend sind. Ausgangspunkt für ihre Malerei sind aufwendig ausgestattete, raffiniert ausgeleuchtete Fotografien, die sie im Studio inszeniert. Sie sagt zum Verhältnis von Fotografie und Malerei in ihrem Werk: »Die Foto- grafie regt etwas Widersprüchliches in mir an. Und dieser Widerspruch setzt mich in Bewegung. Ich male den Widerspruch zum Foto. Das ist der ent- scheidende Punkt.« Hausner malt ihre Fotografien nicht in fotorealistischer Manier ab, sondern transformiert sie in malerisches Kolorit und Formen- sprache. Gerade aufgrund dieser dezidierten Differenz können die hier gezeigten Fotografien für sich selbst stehen. In ihnen wird sichtbar, wie seh Hausners Arbeit immer noch geprägt ist von den Bühnen- und Filmer- fahrungen. Hausner als Fotografin ist vor allem auch Regisseurin und Bühnenbildnerin, die Geschichten inszeniert, elliptische Mikrodramen mit ungewissem Ausgang, deren sorgsamer Umgang mit Licht genuin foto- grafisch und nicht linear in die Malerei übersetzbar ist.

Simon Lehner

»I’m a liar, but a good one« nannte Simon Lehner (*1996, lebt und arbeitet in Wien) seine jüngste Einzelausstellung und wirft so für seine Arbeit wesentliche Fragen nach Erinnerung, Wahrheit, Trauma, Autorschaft und künstlerischen Produktionsstrategien auf. Ausgangspunkt seiner Arbeit- en sind Kindheits- und Jugenderinnerungen und sein fotografisches Archiv aus diesen Lebensabschnitten. Zentral sind dabei Themen wie Familie, häusliche Gewalt und männliche Identität. Mittels Archivbildern, 3D-Scans, Renderings und Animationen erkundet er seine Erinnerungswelt, die er durch geschickte Rekonstruktionen, mediale Manipulationen oder foto- grafische Inszenierungen zum Leben erweckt und in die Gegenwart trans- feriert: »Meine Arbeiten entstehen aus einem autobiografischen Kern, in dem psychologische Aspekte und Emotionen durch eingebettete fotograf- ische Beobachtung untersucht werden. Die Werke sind als Serie strukturiert und kombinieren Medien, die sich um Iterationen des fotografischen Prozesses drehen, von bildbasierten Skulpturen bis zu 3D-Arbeiten. Durch die Einbindung des bereits vorhandenen Archivs entsteht eine Form von ›Working from Memory‹ und bildet eine emotionale Ebene durch das Medium selbst.« Die aufwendigen, arbeitsintensiven Bilder, die dabei entstehen, vermischen Wirklichkeitsfragmente mit Fiktionen gleich den Bildern in unseren Träumen. Manchmal spiegelt sich in der Arbeit am Bild gleichsam der Prozess der Erinnerungsarbeit selbst. In »How Far Is a Lightyear?« beispielsweise rekonstruierte Lehner anhand von fünfzig Fotografien, die er als Neunjähriger mit einer selbstentwickelten 3D-Rendering-Methode aufgenommen hatte, seinen Vater, der die Familie verlassen hatte. Trotz allem Aufwand wird der Vater nicht fassbarer, die Distanz bleibt unüber-brückbar, so, wie Erinnerung uns die Vergangenheit zurückbringen kann, ihre Wahrheiten aber bestenfalls gute Fiktionen sind.

Feng Li

Feng Li (*1971, lebt und arbeitet in Chengdu) begann 1995 hobbymäßig zu fotografieren. Seit 1999 arbeitet er als Fotograf für die Kommunikations-abteilung der Provinz Szechuan. Nach getaner Arbeit widmet er sich seiner persönlichen Fotografie, einer fortlaufenden Fotoserie mit dem Titel »White Nights«. Er spaziert nachts durch die Stadt und fotografiert in Schwarzweiß Menschen, Dinge und Szenen, immer mit Blitzlicht: »Der Grund, weshalb ich die Serie ›White Nights‹ nenne, ist eindeutig damit verknüpft, dass ich bei jedem Foto den Blitz verwende, was eine Illusion schafft, bei der man nie weiß, ob es Tag oder Nacht ist. Ich wollte, dass meine Bilder immer mit diesen zwei Worten verbunden sind, Tag, Nacht – deswegen gibt es auch nie Bildtexte und nicht einmal der Ort der Auf- nahme wird angegeben. Wie viele Fotografen will ich, dass meine Bilder für sich selbst sprechen, ich will den Betrachter nicht mit Informationen ablenken. Als ich mit dieser Arbeit begann, ging ich auf die Straße und suchte bewusst nach seltsamen Szenen. Jetzt glaube ich aber, dass ich sie nicht mehr wirklich suche – sie erscheinen einfach vor mir, so ist es ein viel natürlicherer Prozess.« Die hier gezeigten Bilder lassen in ihrer rohen Direktheit, ihrem Sinn für das Abgründige an westliche Fotografen wie Brassaï oder Robert Frank denken, aber vor allem auch an japanische Fotografen wie Daido Moriyama und Nobuyoshi Araki. Sie zeigen unverkennbar Gegenwart, wirken zeitlos: »Ich hatte immer eine starke Beziehung zur traditionellen, klassischen Fotografie und ich wollte in meiner Praxis immerdiese Tradi- tionslinie respektieren. Ich verwende eine ganz einfache Kamera und konzentriere mich auf den sehr einfachen Akt des Foto-grafierens. Aber obwohl ich die Dinge mit einer sehr klassischen Methode dokumentiere, geschieht es immer im modernen Kontext einer geschäftigen Stadt und des Lebens in der Gegenwart – es geht immer ums Jetzt.«

Stefanie Moshammer

Auf den ersten Blick wirken die Bilder von Stefanie Moshammer (*1988, lebt und arbeitet in Wien) dokumentarisch, doch dann sticht ins Auge, dass einiges offensichtlich konstruiert ist, was wiederum den Wahrheits-gehalt der Bilder reizvoll in Frage stellt. Dies entspricht dem Wesen der Orte, mit denen sie sich beschäftigt – Kalkutta, Rio, Las Vegas, die Karibik, der amerikanische Westen. Sie alle sind beladen mit mythischen Vorstel-lungen, Klischee- und Sehnsuchtsbildern, die unsere Wahrnehmung dieser Orte färben – die Fiktion schwingt immer mit. Dem trägt Moshammer in ihrer fotografischen Praxis Rechnung: »Ich arbeite haupt-sächlich im Bereich der Fotografie und manchmal beinhaltet das auch das Bewegtbild. Oft hat meine Arbeit einen dokumentarischen Kern, der in Verbindung mit dem Konzept der Fiktion steht und eine mehrdeutige Überlagerung von Darstellungen und Realitäten mit sich bringt. Dabei begebe ich mich an verschiedene Beobachtungsorte, so dass eine poetische Wahrnehmung entstehen kann. Es ist eine Mischung aus spontanen Situationen, die der inszenierten Fotografie gegenübergestellt wird und einen bestimmten Ort oder ein bestimmtes Motiv enthüllt. Meine Arbeit beinhaltet auch eine Erforschung von Mythen und Stereotypen, einschließlich der Unsicherheit darüber, was ich hier unwissentlich zu sehen bekomme.« Auch hier nähert sich Moshammer einem Mythos, der insbesondere in einem fotografischen Kontext sehr aufgeladen und geschichtsgesättigt ist: dem Roadtrip durch Amerika. »Leaving makes the place feel better« (2019/21) ist eine Multikanal-Videoinstallation mit gesprochenem Ton, ein visueller Essay, basierend auf Bildern, die sie auf einem Roadtrip vom Osten in den Westen der USA aufgenommen hat.

Hannah Neckel

Hannah Neckel (*1995, lebt und arbeitet in Wien), die zurzeit Transmedia-Kunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien studiert, bezeichnet sich als postvirtuelle Künstlerin. Sie gehört zu einer Generation, die mit Smartphone und Internet aufgewachsen ist, für sie verschmelzen reale und virtuelle Welt immer mehr miteinander. Dementsprechend ist fürsie die Kamera nur ein Knotenpunkt im Netz der Datenflüsse, denn das Smartphone ist gleichermaßen Sender und Empfänger. Sie sagt von sich, sie sei aufgewachsen im Internet, ihr Instagram @voidgirl69 ist Teil ihres künstlerischen Projektes. Ihr Online-Leben, soziale Medien und die darin entstandenen Subkulturen, Communities und Ästhetiken sind ihr Inspiration und Forschungsfeld zugleich. Über die Jahre hat sie Festplatten gefüllt mit eigenem und fremdem Bildmaterial, das ihr als Ausgangsmaterial für ihre Arbeiten dient, die einen neuen Realitätsbegriff zu umreißen suchen, der Online und Offline zusammenbringt. Diesen Brückenschlag zwischen Virtuellem und Immateriellem inszeniert sie in ihren Installationen: »Ich sehe das Internet als einen Raum, der Menschen befähigt, sich selbst zu sein, und ihnen den Raum gibt, sich auszudrücken und zu verbinden. Dieses Gefühl ist für mich äußerst wichtig, daher hoffe ich, dass ich in meinen Installationen einen solchen Raum im realen Leben schaffen kann, in dem sich die Menschen willkommen und frei fühlen.« Im Zentrum ihrer Installation für Gmunden.photo steht eine Herz-skulptur, die für Sehnsucht nach einer utopischen Zukunft steht. Flankiert wird sie von zwei Monitoren im Hochformat, die Bilder und Videos aus einer im und für das Smartphone generierten Idealwelt zeigen. In einer Zeit, in der für viele die Online-Welt zusehends für Populismus und Fake News steht, beharrt Neckel auf dem utopischen Potential des Internets, das freien Ausdruck, Verbindung und Gemeinschaft ermöglicht.

Walter Pfeiffer

Lange war Walter Pfeiffer (*1946, lebt und arbeitet in Zürich) ein Geheim-tipp, ein Künstler, der vor allem von anderen Künstlern verehrt wurde, obwohl er seit den frühen 1970er Jahren in der Kunstszene präsent war. Dies änderte sich Anfang der 2000er Jahre, als Pfeiffers Fotografien und Zeichnungen durch Bücher und Ausstellungen einem immer breiteren Publikum bekannt wurden. Aufträge für Modemagazine wie »Vogue« und »Self-Service« und angesagte Modelabels folgten. Heute ist Walter Pfeiffer ein in Kunst wie Mode international gefragter Fotograf, dessen Vor-reiterrolle unbestritten ist. In seinen Stillleben, Landschaftsbildern und Portraits von schönen Jungs und frechen Frauen feiert Pfeiffer seine Suche und Sucht nach Schönheit und Glamour mit Ironie, Witz und Hintersinn. Er zeigt uns eine Welt zwischen Wunschbild und Wirklichkeit, Inszenierung und Schnapp-schuss: ein Fotoalbum aus Arkadien. Pfeiffer benutzt souverän die Bilder- sprachen hoher Kunst und trivialer Werbung, inszeniert mit einfachen Mitteln kluge und klassische Bilder von Schönheit und Glück, immer im melancholischen Wissen um Künstlichkeit und Spiel. Stilsicher, asso- ziativ und unverschämt erotisch fügt er seine Bilder zu einer Enzyklopädie der Sehnsucht, aus der die hier gezeigten Bilder einen kleinen Ausschnitt zeigen.

Jack Pierson

Jack Pierson (*1960, lebt in New York) macht Fotografien, Wortskulpturen, Zeichnungen, Installationen, Malereien und Bücher. Er wurde bekannt als Teil der sogenannten »Boston School«, einer losen Gruppe von Foto-graf*innen, zu der Nan Goldin, David Armstrong, Philip-Lorca diCorcia und Mark Morrisroe gehörten und die in ihren Fotografien ihr persönliches Umfeld zeigte, beiläufige und private Szenen, mit der Kamera spontan festgehalten. Sein persönliches Umfeld blieb bis heute Piersons wichtigste Inspiration, freilich zeigt er es nie mit dokumentarisch festhaltender Absicht, sondern immer als aufgeladenes Bild, mal glamourös, mal melan-cholisch: »Selbst wenn es eine Geschichte gibt, ist es nicht mein Haupt-impuls, eine spezifische Geschichte über eine spezifische Person zu erzählen: Ich will eine Geschichte über dieses Bild erzählen. Ich versuche, nicht allzu psychologisch zu sein, wenn ich ein Bild aufnehme. Ich gehe viel eher ästhetisch vor, ich neige dazu, jemanden zu fotografieren, wenn es einen poetischen Aspekt gibt, ganz im Gegensatz zu einer Charakterstudie. Ich zeige Menschen viel eher als Schauspieler im Rahmen des Bildes, ich mache keine psychologischen Portraits.« Pierson kombiniert in seinen Ausstellungen oft Fotografien und Wortskulpturen zu collageartigen wandfüllenden Installationen. In seinen jüngsten Fotografien, die wir zeigen, wird die Collage zum Motiv selbst. Auf drei großen Bildern sehen wir eine Oberfläche, eine Foto- grafie von Blumen, auf der wechselnd andere Fotografien ausgelegt werden; teils sind es Fotografien von Pierson selbst, teils Aufnahmen, die er gesammelt hat. Da die Fotografien selbst flach sind, können wir die Räum-lichkeit der abfotografierten Arrangements nicht richtig ausmachen, verwirrende perspektivische Trompe-l’Œil-Effekte ergeben sich. Die drei Bilder scheinen mit ihren collagehaften Arrangements tagebuchartig Veränderungen festzuhalten, wechselnde Inspirationen und Materialien im künstlerischen Arbeitsprozess, ein indirektes Portrait des Künstlers in seinem Atelier.

Courtesy of: Galerie Aurel Scheibler

Viviane Sassen

Viviane Sassen (*1972, lebt und arbeitet in Amsterdam) ist in der Kunst ebenso zuhause wie in der Mode, sie studierte zuerst Modedesign und später Fotografie: »Für mich sind dies zwei Seiten meiner Persönlichkeit. Ich sehe die Mode als meine extrovertierte Seite, die Arbeit in Teams, mit so viel Energie. Es gibt eine Schnelligkeit und Flüchtigkeit in der Mode, die ich liebe. Die Kunst ist meine introvertierte Seite – auf vielen Ebenen sehr viel persönlicher. Und es ist ein viel einsamerer Prozess. Ich habe das Gefühl, dass es kompliziert ist, die beiden wirklich zu vermischen. Aber natürlich teilen sie viele formale Aspekte: Sie nähren einander, denn es sind immer meine Augen und mein Hirn, die diese Bilder konstruieren.« Als Kind verbrachte Sassen einige Jahre in Afrika, eine Erfahrung, die sie bis heute prägt, die sich in ihrem Umgang mit Farbe, Licht und Schatten zeigt: »Das Licht ist so klar in Afrika und die Schatten sind so dunkel. Ich denke, diese grafische Qualität, diese leuchtenden Farben haben meine künstlerische Praxis geprägt.« Sassen zeigt Bilder aus der Arbeit »Venus & Mercury«, die 2019 in der Ausstellung »Visible/Invisible« im Grand Trianon von Versailles gezeigt wurden. Während sechs Monaten hatte Sassen außerhalb der regulären Besuchszeiten Zugang zum Palast von Versailles. Sie verwendete die Architektur, Artefakte und Skulpturen des Palastes, um neue Bilder und Collagen zu schaffen, einige davon Unikate mit übermalten Partien. Dazwischen tauchen Bilder auf, die Sassen mit jungen Frauen, die in der Nähe des Palastes aufgewachsen sind, inszenierte, die den Statuen reale Körper entgegensetzen. Die Arbeit schafft ein Bilderlabyrinth, das eine unerzählte Geschichte andeutet, die sich im Palast versteckt, als würden die mythologischen Darstellungen nachts wieder zum Leben erwachen.

Courtesy of: Stevenson gallery SA

Elfie Semotan

Elfie Semotan (*1941, lebt in Wien, New York und Jennersdorf), die »Grande Dame« der österreichischen Fotografie, wird dieses Jahr achtzig. Grund genug, einige prägnante und einzigartige Facetten ihres Werkes in den Vorder- grund zu rücken. Semotans Laufbahn begann auf der anderen Seite der Kamera. Nach dem Besuch einer Modeschule in Wien zog sie 1961 nach Paris und arbeitete als Modell. Von ihrem damaligen Partner lernt sie das Fotografieren und merkt, dass sie lieber hinter als vor der Kamera steht. 1971 zieht sie zurück nach Wien und baut sich eine Karriere als Fotografin auf. Semotans Werk deckt das ganze Spektrum der Fotografie ab – von freien Arbeiten bis hin zu Werbekampagnen und Mode- und Portraitaufnahmen für internationale Hochglanzmagazine. Wir versuchen, mit einigen präzis gesetzten Schlaglichtern zu zeigen, wie sehr Semotan ihrer Zeit voraus war. In sechs Stillleben werden ihre kompositorische Sicherheit und deren elegante Beiläufigkeit unverkennbar offenkundig. Eine Modeaufnahme steht für Semotans unkonventionelle Fantasie, ihre Lust am Spiel. In einer Auswahl von Portraitfotografien wird spürbar, wie sie hinter der Kamera auf ihre Erfahrungen als Modell zu- rückgreift: »Ich weiß, wie allein gelassen man sich fühlt, wenn einem der Fotograf nicht sagt, wohin die Reise gehen soll. Man muss den Menschen vor der Kamera von seinen Ängsten und Eitelkeiten ablenken, denn sonst verkrampft er sich und versucht, möglichst schön und souverän auszusehen, und das verhindert, dass gute Bilder entstehen.«

David Benjamin Sherry

David Benjamin Sherrys (*1981, lebt und arbeitet in Santa Fe) Fotografien sind zugleich Fortsetzung und Gegenbild der großen Tradition der amerikanischen Landschaftsfotografie. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts haben Fotografen den »freien und offenen« amerikanischen Westen zu einem Bildmythos emporstilisiert, sie feierten seine Wildnis und zugleich deren Bezwingung durch den Menschen. Heute bedrohen ihn Umweltver-schmutzung, Waldbrände und die Ausbeutung von Rohstoffen. Diese Bedro- hungen sind der Hintergrund, vor dem Sherrys Landschaftsbilder entstehen. Auch technisch verbindet Sherry Tradition und Avantgarde; wie viele der großen Landschaftsfotografen fotografiert er mit einer Großformat-kamera und experimentiert ausgiebig in der Dunkelkammer: »Mein Druckprozess nimmt den Farbfilm als Ausgangspunkt, aber manipuliert dann den Cyan-, Magenta- und Gelbanteil. Ich treibe sie in chromatische Extreme. Ich entdeckte, dass diese monochrome Farb- skala den Landschaften eine Stimme und eine Energie verleiht, verwandt mit meiner Erfahrung des Reisens an diese majestätischen Orte mit ihrer Schönheit.« Die gezeigten Bilder stammen aus der Serie »American Monuments«, in der Sherry Naturreservate zeigt, deren Schutz 2017 von der Trump-Administration aufgehoben wurde, um die Ausbeutung ihrer Öl-, Kohle- und Uraniumreserven zu ermöglichen. Zentral ist dabei für Sherry, die klassischerweise mit einem traditionellen Männerbild verbundene Wildnis aus einer queeren Perspektive zu zeigen: »Als queere Person frage ich mich ständig, was es bedeutet, wenn ich in die Wildnis gehe, also etwas tue, das traditionellerweise mit einer heterosexuellen Macho-Identität verbunden ist. Ich bin mir in den weitgehend heteronormativen Räumen des ländlichen Amerikas stets meiner Außenseiterperspektive bewusst. Meine Gegenwart in der Wildnis ist ein Akt queerer Aneignung dieser Orte, den ich als befreiend empfinde. Diese Haltung möchte ich in meinen Bildern vermitteln. Die Serie ist ein Aufruf zur Befreiung von den patriarch- alischen Machtstrukturen, die für Generationen unsere Landschaften ebenso wie unsere queeren Körper kontrolliert und missbraucht haben.«

Heji Shin

Die Deutsch-Koreanerin Heji Shin (*1976, lebt und arbeitet in Berlin und New York) lotet in ihren Fotografien oft Grenzen aus. In einer Galerie inszenierte sie ein schwules Pornoszenario mit Männern in Polizeiuniform und stellte die Fotos im gleichen Raum aus. Für eine Kampagne des Modelabels Eckhaus Latta fotografiert sie reale Paare beim Sex. Die Serie »Baby« zeigt Nahaufnahmen von Geburten, Babys, die aus dem Uterus gepresst werden. In »#lonelygirl« lichtete sie einen Affen ab, der mit einer Pistole und einem Dildo spielt. Risiken einzugehen ist Teil ihres Arbeits-prozesses: »Etwas zu tun, einfach weil man Lust hat, Tabus zu brechen, ist sehr dumm. Ich glaube, es muss mehr Substanz haben. Menschen reagieren intuitiv auf Risiken, und es ist dann sehr aufregend zu sehen, wie sie reagieren mit ihrer Amygdala, ob negativ oder positiv ist egal. Du reagierst nicht mit deiner rationalen Seite. Darum sollte es gehen.« Neben zwei Bildern aus »Baby-Serie« zeigt sie hier eine ihrer jüngsten Arbeiten, große Bilder von Hähnen, unter dem doppeldeutigen Titel »Big Cock«, wobei in beiden Bedeutungen maskuline Dominanz mitschwingt. Die Bilder sind wild, aggressiv und atemberaubend schön zu- gleich: »Wir suchten nach Hähnen. Und fanden sie. Sie sind schön. Ich meine, sie sind extrem, extrem schön.« In einer Zeit, in der Gewalt meist systemisch oder taktisch ist, meint sie, dass »diese kurzlebigen Ausbrüche von wütender Hahnenergie hellenistisch und männlich aussehen». In der Gegenüberstellung von Hahn und Geburt eröffnet sich ein unverhüllter Blick auf das nackte Leben.

Courtesy of: Galerie Buchholz

Jean-Vincent Simonet

Mit Begriffen wie »analog« und »digital«, »Fotografie« und »Malerei« lassen sich die Arbeiten von Jean-Vincent Simonet (*1991, lebt und arbeitet in Paris) nicht fassen. Fotografische Dateien sind für ihn bloßes Roh-material, das er mit einem Inkjetprinter materialisiert und dann mit Flüssig-keiten, Chemikalien und Kunststoffen weiterbearbeitet: »Für mich ist die Fotografie ein erster Arbeitsschritt, vergleichbar mit einem Bleistift beim Zeichnen. Wenn du sie erweitern willst, sie in ein anderes Medium wie Malerei oder Skulptur überführen willst, wird sie hybrid. Heute muss man hybrid arbeiten, für mich macht dies Sinn. Ich mag es auch, dass die Reproduzierbarkeit, ein Kennzeichen der Fotografie, verloren geht. Jedes Stück ist einzigartig wie ein Gemälde. Aber gleichzeitig erfasst du trotzdem einen Realitätsfetzen, denn du hast einen Sensor und eine Linse verwendet, es ist somit eine schummerige Grauzone.« Diese Überlagerung von analogen und digitalen Verfahren, Collage und Montage erzeugt eine Reizüberflutung, in der sich Exzess und Erschöpfung ver- mischen, Körper und Ornament, Natur und Bild, Gefühl und Effekt gehen ineinander über. Simonet zeigt Frauenakte und Blumenbilder, zwei klassische Genres, die er in eine psychedelische Meta-Realität überführt. Sehen wir Fleisch oder Plastik, Puppen oder Menschen, Blumen oder Dekorations-ware? Treten sie aus dem Pixelrauschen hervor oder versinken sie in ihm? Die Künstlichkeit der Bilder wird durch die wahrnehmbaren Reali- tätsfragmente unheimlich, ihre Schönheit erwächst aus einem Wahrneh-mungschaos: »Meine Arbeit hat etwas mit Chaos zu tun, du verlierst den traditionellen Standpunkt. Chaos ist Teil der Natur, so funktioniert das Ganze – ohne Regeln. Wir Menschen versuchen es zu kontrollieren, aber es sollte nicht kontrolliert werden, das ist eine der fast mystischen Grundfragen der Fotografie.«

Beat Streuli

Menschen im öffentlichen Raum der Großstadt sind seit den 1990er Jahren das zentrale Thema im Schaffen von Beat Streuli (*1957, lebt und ar-beitet in Zürich und Brüssel). Wie ein klassischer Flaneur mischt er sich unter die Menschenmassen europäischer, amerikanischer und asia- tischer Metropolen und hält Ausschau nach Szenen und Gesichtern: »Ich habe mich auch schon gefragt, weshalb ich jemanden aus den Hunderten von Menschen, die an mir vorbeiziehen, herauspicke in diesem kurzen Moment, bevor er wieder in der Masse verschwindet. Es geschieht sehr schnell und intuitiv, es ist keine reflektierte Entscheidung – ich überlege mir nicht, dass ich zehn Teenager und ein paar alte Menschen brauche. Meine Arbeit ist auf dieser Ebene nicht konzeptuell. Ich katalogisiere nicht Typen von Menschen, es ist eine weitaus persönlichere Wahl: Gewisse Gesichter ziehen mich an, und ich kann selbst nicht genau sagen weshalb.« Streuli fotografiert mit einem Zoomobjektiv aus der Distanz, unbe- merkt von seinen »Modellen«, die meist unterwegs und in Bewegung sind, was den Bildern eine filmische Dynamik verleiht. Die entstandenen Bilder zeigt er als Fotoinstallationen und Diaprojektionen, fügt sie zu Büchern oder spiegelt sie zurück in den städtischen Raum als Plakatwände oder Leuchtkästen und nimmt so Präsentationsformen auf, die den städtischen Raum prägen. Streuli zeigt eine Serie von eng gefassten Portraits, aufgenommen in New York. In den Gesichtern, Kleidern und der ethnischen Vielfalt spiegelt sich der legendäre Schmelztiegel der Kulturen und Milieus. Charak-teristisch für Streuli ist die Mischung von Distanz und Intimität: In den Gesichtsausdrücken wird offenbar, dass sich die Menschen unbeobachtet wähnen, wir sehen Gefühlsregungen, die wir aber nicht klar deuten können. Es sind erhaschte Momente im Leben von Menschen, die gleich wieder im Sog der Straßen entschwinden, alle einzigartig und austauschbar zugleich.

Marina Sula

Marina Sula (*1991, lebt und arbeitet in Wien) beschäftigt sich in ihren Fotografien und Installationen mit der Herkunft und Entwicklung der Bild- codes unserer digital geprägten Welt: »Bildproduktion hat mich schon immer interessiert. Aber speziell bei der Fotografie war es anfangs die Faszination, dass sich jeder dieses Mediums bedienen kann. Mit einer Kamera kann man einen Moment festhalten. Das hatte etwas Simples und leicht Fassbaren für mich. Durch kontinuierliche Produktion, Distri- bution und Konfrontation mit Bildern änderten sich dann aber mein Umgang und Zugang dazu. Es ging zum einen darum, etwas ›Reales‹ für einen Zeitpunkt festzuhalten, und zum anderen Zeichen und Codes, die mir im Alltag aufgefallen sind, in einem Bild zu erfassen. Im Glücksfall verdichtet sich dadurch etwas und bekommt ein gewisses psychologisches Moment oder legt eine allgemeinere Struktur frei. Das Spiel zwischen dem Indexikalischen und Fiktiven in einer Fotografie finde ich spannend.« Sula zeigt eine Reihe von Bildern mit eng gefassten Detailan- sichten von Alltagssituationen – beispielsweise einen Arm, aufgenommen durch den Zwischenraum einer Zugsitzreihe, die Rückseite einer Sitzreihe im Flugzeug, das Wort »Power« als Goldschmuckstück auf einem weißen Kissen. Was wir auf den Bildern sehen, ist uns sogleich vertraut, und doch wirkt es befremdend. Die Bilder wirken wie Tatortaufnahmen, in denen sich ein Indiz versteckt, das sich uns entzieht. Die Reduktion der Bilder erzeugt eine Konzentration, einen Sog, der sich jedoch im Leeren verliert und gerade dadurch verführt.

Camille Vivier

Camille Viviers (*1977, lebt und arbeitet in Paris) Arbeiten in Kunst und Mode verbindet eine Faszination für den weiblichen Körper, den sie in surrealen, zuweilen düsteren Szenarien inszeniert: »Es ist nicht üblich, dass Frauen Aktaufnahmen von anderen Frauen machen. Während Jahrhunderten war der weibliche Körper fast ausschließlich ein Thema für Männer. Als Frau habe ich eine andere Vision davon, sanfter und weniger aggressiv. Meine Art, Aktaufnahmen zu machen, ist ziemlich neutral, sie spricht über Weiblichkeit, aber in einer viel abstrakteren Weise. Die Frauen, die ich zeige, sind intelligent und sich ihrer Körper bewusst, sie werden nicht als Objekte der Begierde gezeigt, und ich fotografiere Körper aller Arten, jenseits des Schönheitsdiktats.« Vivier zeigt zwei Arbeiten, die durch diesen Blick auf den weiblichen Körper geprägt sind. »Sophie« zeigt Bilder einer Bodybuilderin: »Ich suchte eine sehr athletische Frau für einen Shoot. Als ich Sophie traf, war ich nicht nur von ihrem kräftigen, athletischen Körper fasziniert, sondern auch von ihrem Gesicht, das lieb, feminin und zärtlich ist. Ich hatte das Gefühl, dass Sophie durch ihre Bodybuilding-Praxis sehr viel mitzuteilen hat – es ist eine Rekonstruktion ihres Selbsts, sowohl auf einer allegorischen wie auch einer physischen Ebene.« In »Twist« zeigt sie einen Überblick über die verschiedenen Stränge ihres Schaffens. Nackte weibliche Körper treffen auf Bilder von seltsam anthropomorphen Skulpturen, deren Formen auf die Körper zurückverweisen, beide gleichermaßen sinnlich.

Lukas Wassmann

Lukas Wassmann (*1980, lebt und arbeitet in Zürich und Berlin) ist leid- enschaftlicher Jäger und Fischer, und seine Fotografien, die immer geistesgegenwärtig und unmittelbar auf den Moment reagieren, scheinen natürliche Fortsetzung dieser Passionen zu sein. Wassmann kann Mode-fotografie ebenso wie Reportagen, Kunst ebenso wie Werbung und gehört deswegen zu den momentan angesagtesten Fotografen. Wassmann gedeiht in Gegen-sätzen, für ihn ist es das Natürlichste der Welt, auf einem Bauernhof mit Tieren Schmuck in Szene zu setzen: »Ich bin gelernter Zimmermann ursprünglich. Aber mein Beruf jetzt ist Fotograf. Die große Leidenschaft ist die Jagd und mit dem Hund arbeiten. Ich brauche aber trotzdem noch die Stadt. Ich arbeite in vielen internationalen Städten. Das tut mir auch gut.« Thema seines Containers ist sein Lieblingsmodell: sein Hund Gustl, der ihn überall begleitet. Wir sehen Gustl in der freien Wildbahn auf der Jagd, Gustl zuhause, Gustl in der Stadt, aber auch Gustl als Modemodell, denn auch an diesem Aspekt von Wassmanns Leben nimmt er teil. So versteckt sich denn in den Aufnahmen von Gustl auch ein Selbstportrait Wassmanns. Sie zeigen aber vor allem eines: Nur wenige können Tiere und Natur so einfühlsam wie Wassmann zeigen, ein richtiger Jäger eben.

Jork Weismann

Der in Gmunden geborene Jork Weismann (*1970, lebt und arbeitet in Wien) ist ein international gefragter Mode- und Portraitfotograf. Er wurde bekannt mit seinen Arbeiten für die Pariser Kultzeitschrift »Purple« und arbeitet unter anderem für »Vogue«, »Vanity Fair«, »Die Zeit« und die »New York Times«. Seine Bilder sind reduziert, elegant und oft intim: »Ich überlege, was wir darstellen wollen, dann reduziere ich so lange, bis möglichst wenig vom Bildinhalt ablenkt.« 2017 nahm er das offizielle Portrait des österreichischen Bundespräsidenten Alexander von Bellen auf. Für sein 2012 erschienenes Buch »Asleep at the Chateau«, aus dem wir hier Bilder zeigen, fotografierte er im legendären Hollywood-Hotel Chateau Marmont zahlreiche der Stars, die hier ein und aus gehen, beim Schlafen, darunter Patti Smith, Orlando Blum, Juergen Teller und Bret Easton Ellis: »Es war interessant zu sehen, dass starke Persönlichkeiten ihr Charisma nicht verlieren, wenn sie die Kontrolle aufgeben und schlafen. Es geht auch im Vertrauen – um zu schlafen, musst du dich entspannen und der Umgebung vertrauen, in der du schläfst. Es erinnerte mich an einen Satz in einem Godard-Film, der mir hängegeblieben ist: ›Guter Schlaf erlöst mich von mir selbst.‹«

DJ Wolfram

DJ Wolfram Eckert (*1983, lebt und arbeitet in Wien) ist gegenwärtig der weltweit gefragteste Wiener Clubkulturexport. Er hat mit Moby, Peaches und Hercules and Love Affair zusammengearbeitet. All die DJ-Auftritte mit Wartezeiten im Backstage-Bereich, in Garderoben und Clubräumen bringen mit sich, dass Wolfram viel fotografiert wird, was er als ehemaliges Modell auch professionell zu nutzen weiß. Wolfram inszeniert sich und spielt mit seinem Image, manchmal auch mit einem Augenzwinkern. Er ist ebenso Autor seiner Bilder wie die Fotografen, die sie aufnehmen. Zentral ist sein Autofimmel – sein goldener Scirocco ebenso wie die Formel-1-Overalls, die er gerne trägt. Der Scirocco ist Mittelpunkt der Installation »Wolfram’s World«, die zahllose Bilder von Wolfram versammelt, aber auch Gitarren, LPs und Kleidungsstücke. Sie zeigt, wie elegant und zuweilen auch iro-nisch Wolfram zwischen Selbstinszenierung und Authentizität oszilliert und vormacht, wie ein gefeierter DJ mit Fotografie umgeht.

Impressum
Verein zur Förderung
zeitgenössischer
Fotografie und Medienkunst
(e.V.)
Linzerstraße 16
4810 Gmunden
Österreich

ZVR: 1445731609
UID: ATU76881402
info@gmunden.photo

Initiatoren
Tom Wallmann, Felix Leutner

Umsetzung & Gestaltung
Studio Achermann

Architektur & Ausstellungsdesign
Andreas Strauss, Warren Parker